Friedrich List (1789–1846)

Friedrich List ist – international gesehen – zweifelsohne der berühmteste Sohn der Stadt Reutlingen. Als Verwaltungsreformer, Eisenbahnpionier, liberaler Denker, Publizist und Nationalökonom zählt er zu den bedeutendsten Persönlichkeiten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Ideen und Lehren auf dem Gebiet des Verkehrs- und Transportwesens, auf wirtschaftlichem und auf politischem Sektor haben im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahrhunderte weltweit Beachtung gefunden und besitzen zum Teil bis heute Aktualität, so z. B. seine Stufentheorie und der Gedanke der Erziehungszölle oder seine nunmehr Realität gewordene Vision einer europäischen Integration. Zu seinen Lebzeiten wurde dem umtriebigen Mann und seinen bahnbrechenden Ideen dagegen nicht immer die erhoffte Anerkennung zuteil.


Der am 6. August 1789 in Reutlingen geborene Friedrich List entstammt einer alteingesessenen einflussreichen Handwerkerfamilie. Nach einem misslungenen Versuch als Lehrling in der väterlichen Weißgerberei schlug List die württembergische Verwaltungslaufbahn ein, wo er als kluger und kritischer Kopf bald auf sich aufmerksam machte. 1817 wurde er ohne entsprechende akademische Ausbildung zum Professor für Staatsverwaltungspraxis an der neuerrichteten Staatswirtschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen ernannt. Doch sein Blick und sein Engagement gingen schon damals weit über Württemberg hinaus: Im April 1819 gründete List zusammen mit einigen Kaufleuten in Frankfurt den "Deutschen Handels- und Gewerbeverein", der sich für die Aufhebung der Binnenzölle im Deutschen Bund und für einen gemäßigten Schutzzoll nach außen einsetzte. Dieses eigenmächtige Vorgehen eines württembergischen Staatsdieners erregte den Unwillen des Königs und kostete List seine Professur.

Friedrich List


Als Abgeordneter seiner Vaterstadt im württembergischen Landtag verfasste List im Januar 1821 die berühmte Reutlinger Petition, in der er in 40 Punkten heftige Kritik an den Missständen in Staat, Verwaltung und Rechtsprechung übte und durchgreifende Reformen forderte. Dies trug ihm nicht nur den Verlust seines Mandats, sondern auch die Verurteilung zu zehn Monaten Festungsstrafe wegen Pressevergehen sowie Staats- und Majestätsverbrechen ein. Der Haft entzog sich List zunächst durch Flucht nach Frankreich und in die Schweiz. Als er im Sommer 1824 zurückkehrte, wurde er auf dem Hohenasperg inhaftiert, dann aber unter Verzicht auf sein württembergisches Bürgerrecht und unter der Bedingung, „freiwillig“ nach Amerika auszuwandern, vorzeitig entlassen.


In den USA erwarb sich List als Redakteur, Unternehmer, Eisenbahn- und Wirtschaftsfachmann großes Ansehen und erhielt 1830 das amerikanische Staatsbürgerrecht. Als amerikanischer Konsul kehrte er 1832 nach Deutschland zurück, konnte aber nicht an seine Erfolge in Übersee anknüpfen. Obwohl er maßgeblich am Bau der 1839 eröffneten ersten deutschen Ferneisenbahn von Leipzig nach Dresden sowie auch an anderen Eisenbahnprojekten beteiligt war und sich mit seinem 1841 erschienenen wissenschaftlichen Hauptwerk „Das nationale System der politischen Ökonomie“ einen Namen machte, vermochte er nirgends festen Fuß zu fassen. Dabei gehörte er als Herausgeber verschiedener Zeitschriften und als journalistischer Mitarbeiter bei einer Vielzahl von Zeitungen zu den versiertesten Publizisten seiner Zeit.


Doch waren Friedrich Lists stete Bemühungen um eine einflussreiche Position und um Verwirklichung seiner Ideen immer wieder mit persönlichen Rückschlägen verbunden. Erschöpft, enttäuscht, von existentiellen Sorgen geplagt und gesundheitlich angeschlagen setzte er am 30. November 1846 in Kufstein, wo er auf einer Erholungsreise nach Italien Zwischenstation machte, seinem Leben ein Ende.